Wer im Kundenservice noch einen persönlichen Ansprechpartner sucht, der ist von gestern. Inzwischen sprechen viele Kunden lieber mit einem Chatbot.
Von Anna Sophie Kühne, Sonntagszeitung, 21.05.2023, WIRTSCHAFT (Wirtschaft), Seite 22 – Ausgabe D1
Wenn Vodafone einen Mitarbeiter des Monats im Servicecenter küren würde, wäre es wohl immer wieder derselbe. Er arbeitet 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. Geduldig nimmt er jede Kundenanfrage an und kann Anliegen von Vertragsverlängerung über Adressänderung bis Störungsmeldung bearbeiten. Er macht niemals Pause und kann sich um Tausende Vorgänge gleichzeitig kümmern. Dabei trägt er stets ein mildes Lächeln im Gesicht und einen roten Helm mit Vodafone-Logo auf dem Kopf.
Derart übermenschliche Dinge werden auch bei Vodafone nicht von Menschen vollbracht, sondern von einer Künstlichen Intelligenz. “TOBi, wie wir unseren Chatbot liebevoll nennen, haben wir vor fünf Jahren eingeführt”, sagt Guido Weissbrich, der für den Kundenservice von Vodafone in Deutschland zuständig ist.
TOBi – was sich rückwärts gelesen von iBOT, also “intelligenter Chat-Bot”, ableitet, hat seit seiner Geburtsstunde eine beachtliche Entwicklung hingelegt. Während er zu Beginn nur etwa jede fünfte Anfrage lösen konnte, sind es heute rund 65 Prozent. Die Fortschritte, die Chatbots in jüngster Zeit bei der Erkennung und Bearbeitung auch komplexer Anliegen gemacht haben, überraschen selbst diejenigen, die seit vielen Jahren die Branche beobachten.
“Das Thema Chatbot hatte ich ehrlich gesagt fast aufgegeben”, sagt Peter Gentsch, der als Professor an der Universität Aalen mehrere Studien zu Anwendungen der Künstlichen Intelligenz in Vertrieb und Service von Unternehmen durchgeführt hat. Zwar seien die Systeme bereits vor einigen Jahren im Erkennen des geschilderten Problems recht gut gewesen. Nur beim Lösen waren sie quasi keine Hilfe. “Die Qualität der Antworten war meist so schlecht, dass die Leute lieber direkt die Hotline gewählt haben.” Die Schwierigkeit der Chatbots habe darin bestanden, dass sie mit einfachen Wenn-Dann-Regeln programmiert waren. Wenn eine Kundenanfrage eben nicht einem hinterlegten Szenario entsprach oder auch nur leicht davon abwich, war das System ratlos.
Mit der neuen Technologie, die auch ChatGPT zugrunde liegt, wird sich das ändern, ist Gentsch überzeugt: “Was wir grade erleben, das ist der iPhone-Moment.” Der Vorsprung der Callcenter, was die Kompetenz und Genauigkeit beim Erkennen und Bearbeiten von Anfragen angeht, dürfte rapide schwinden. Chatbots würden nun nicht mehr entlang von definierten Entscheidungsbäumen Lösungen auswählen, sondern könnten mit beliebig vielen Daten gefüttert werden und daraus selbst die passende Antwort für den Kunden generieren. “Damit eignen sich Chatbots auch für komplexere Anliegen”, sagt Gentsch.
Für Unternehmen liegt der größte Vorteil mit Personaleinsparungen auf der Hand. Insbesondere im Servicebereich sind Mitarbeiter schwer zu finden, dem Job im Callcenter eilt kein guter Ruf voraus. Die durchschnittliche Fluktuation beträgt 19,2 Prozent, der Krankenstand 10 Prozent, beide Werte sind rund doppelt so hoch wie in anderen Branchen.
Immer häufiger verlegen Unternehmen ihre Callcenter aus Kosten- und Personalgründen mithilfe von Dienstleistern ins Ausland, oft nach Osteuropa. Auch Vodafone hat Callcenter außerhalb Deutschlands. Allerdings wird es auch hier zunehmend schwieriger, Fachkräfte zu finden. In die Technologie von Chatbots zu investieren wird somit immer attraktiver. “Es gibt extra ein spezialisiertes Team, das TOBi weiterentwickelt und trainiert”, sagt Guido Weissbrich von Vodafone.
Auch für die Kunden ist der persönliche Kontakt nicht mehr so bedeutend wie früher. “Wir merken, dass das Internet für viele unserer Kundinnen und Kunden der bevorzugte Weg ist, mit uns zu kommunizieren”, sagt Weissbrich. Das gelte für viele Altersgruppen gleichermaßen, mit zwei Ausnahmen: Es seien vor allem die Kunden über 70, die heute immer noch fast ausschließlich aufs Telefon setzen – und die ganz jungen, die sich vergleichsweise selten im Callcenter melden.
Tatsächlich haben zahlreiche Studien belegt, dass die Generation Z das Telefonieren nicht besonders schätzt, viele werden gar nervös, wenn sie doch mal einen Anruf tätigen müssen. Sie klären ihre Anliegen lieber mit kurzen Textnachrichten. Darauf reagieren auch die Unternehmen: “TOBi kann heute fast alle digitalen schriftlichen Kommunikationskanäle bedienen, seien es Anfragen in der App oder auf der Website”, sagt Guido Weissbrich. Auch hinter der Kommunikation mit SMS oder Chatprogrammen wie Whatsapp und iMessage stecke TOBi.
KI-Forscher Peter Gentsch geht davon aus, dass sich die Akzeptanz von Chatbots in Zukunft noch deutlich erhöhen wird. “ChatGPT ist gewissermaßen zu einer Volks-KI geworden – und die Menschen haben sich in erstaunlichem Tempo an ihre Benutzung gewöhnt.” Bereits jetzt stehen manche KI-Anwendungen der menschlichen Kommunikation in nichts nach – im Gegenteil. In seiner jüngsten Studie hat Gentsch die Probanden gebeten, jeweils Antworten von ChatGPT mit Antworten von Servicemitarbeitern zu vergleichen. Das Ergebnis erstaunt: Einzig bei der Kundenakquise hat der Mensch etwas besser abgeschnitten als die KI, im Vertriebsgespräch und den Serviceanliegen haben die Nutzer die Antworten von ChatGPT als besser bewertet. Konkret fanden sie die Antworten der KI besser verständlich, unterhaltsamer – und glaubwürdiger. Einzig die Kreativität hat bei den Antworten der Servicemitarbeiter etwas besser abgeschnitten.
Das Entwicklerteam hinter Chatbot TOBi von Vodafone soll nun verstärkt darauf trainiert werden, Gefühle des Gegenübers zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. “Empathie ist der Schlüssel, damit sich die Kommunikation menschlich anfühlt”, sagt Guido Weissbrich. Dazu erlerne der Chatbot beispielsweise bestimmte Worte, die signalisieren, in welcher Stimmung der Kunde sich befindet.
Als noch authentischer als Chatbots gelten allerdings Voicebots, mit denen telefoniert statt nur gechattet werden kann. Ein TOBi-Voicebot befindet sich bei Vodafone bereits in der Erprobungsphase. Roboterhaft dürfte er sich nicht anhören: “Wir wollten, dass die Stimme des TOBi-Voicebots von einem unserer Servicemitarbeiter kommt.” In einem internen Casting wurde ein Mann gekürt, dessen Stimme im Tonstudio synthetisiert wurde und nun beim TOBi-Voicebot zum Einsatz kommt. Die ethischen Bedenken, die viele ob der verschwimmenden Grenzen zwischen Mensch und Maschine hegen, beschäftigen auch Servicechef Weissbrich: “Wir machen immer transparent, dass es sich nicht um einen Menschen handelt, mit dem gerade interagiert wird.”
Peter Gentsch findet das richtig. Er sagt aber auch: “Den Kunden ist es am Ende egal, ob die KI oder der Callcentermitarbeiter ihre Probleme löst.” Und da könnte bald besser beraten sein, wer auf KI statt Callcenter setzt.
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